Künstler als Vordenker
Spricht man über aktuelle Kunst, so darf man die Politik nicht aussparen.
Auch wenn über Jahre hinweg die Bemühung der Künstler um die Politik
zumindest hier im Freistaat, wo um den Zugang zur großen Bühne der
Politik seit jeher im Bierzelt gerungen wird, weitgehend erlahmt schien, ist der
politisch engagierte Künstler offenbar doch nicht ausgestorben. Und kaum
melden sich wieder die ersten Mutigen zu Wort, schon gibt es auch die ersten Verbote.
Der Titel „Brauchen wir wirklich einen neuen Antiimperialismus?“ durfte
denn noch nicht einmal auf die Einladungen zur Vernissage der Ausstellung von
schleuser.net im LIFT ARCHIV von Szuper Gallery im Rahmen des QUIVID im Kreisverwaltungsreferat
gedruckt werden. Und als dann auch noch das Wort „Schreibtischtäter“
in den Interviews der Installation der Gruppe „schleuser.net“ die
historische Konnotation auf den Plan rief, war es für KVR-Chef Wilfried Blume
Beyerle zu viel des Guten: Er wurde selbst künstlerisch tätig und verhüllte
die einzelnen Objekte der Installation. So zumindest die Auslegung der Reaktion
von Szuper Gallery und Schleuser.net : Farida Heuck, Manuela Unverdorben und Ralf
Homann, die darin eine Art Veränderungsprozess sehen, dem jede Kunst im öffentlichen
Raum ausgesetzt ist. Ob nun die Witterung, die Natur oder eben höhere Gewalt
eingreifen, komme letztendlich nur auf die Art der Arbeit an.
Was auf den ersten Blick als künstlerische Provokation gesehen werden könnte,
darf selbstverständlich nicht an der Oberfläche beurteilt werden. Genauso
wenig wie der „Bundesverband Schleppen&Schleusen – schleuser.net“
als eine reine künstlerische Initiative gesehen werden darf. Die drei Künstler
machen auf diesem Weg auf die Komplexität des Migrationsproblems aufmerksam
und ergreifen aus Überzeugung Partei für alle Initiativen, die sich
dieses globalen Problems annehmen. Es gehe hier auch nicht um Einzelfälle
von Beurteilung von Flüchtlingen und Abschiebungen – so der Versuch
der Künstler aus dem Schubladen-Denken auszubrechen. Es gehe vielmehr um
die Kriminalisierung der Globalisierungsfolgen, für die sich nun niemand
verantwortlich fühlen will. „Wir sind hier, weil Ihr dort seid“,
so die einfache, doch treffende Formulierung der „Karawane für die
Rechte der Flüchlinge und MigrantInnen“ des Hauptproblems, das sich
vor allem auf die skrupellose Ausbeutung der armen Länder – meistens
im Pakt mit Diktaturen – der Industrieunternehmen bezieht. Zweifellos sind
die Darlegungen der in Video und Audio präsentierten Vorkämpfer der
ganzheitlichen Sichtweise auf die Migrationsproblematik deutlich um die Enthüllung
des aktuellen Imperialismus als Ursache der Migration bemüht. Claus Schreer
(Proteste während der NATO-Sicherheitskonferenz), Serge Wamba („Karawane“)
und Franck Düvell (Migrationsforscher) versuchen denn auch gar nicht erst
entsprechende Paragraphen in Frage zu stellen, sondern die globale Beurteilung
der Migration generell, die keinesfalls nur in Richtung Europa verläuft.
Aber nicht nur ökonomische Gründe führen zur Migration, auch wenn
dies vor allem von den Behörden gerne so gesehen wird. Migration ist vielmehr
ein zeitgemäßes Leben der Demokratie und der Freiheit, die Lebensform
zu finden, die den persönlichen Vorstellungen entspricht. Genau diese Suche
nach individuellen Lebensformen ist das Thema der aktuellen Ausstellung der Künstlergruppe
Szuper Gallery mit Alun Rowlands im LIFT ARCHIV. „Sealand“ ist die
vorgestellte Utopie einer neu ergründeten Lebensform auf einer ehemaligen
Helikopter-Landeplattform in der Nordsee. Alun Rowlands versucht darin „TAZ
– Temporäre Autonome Zone“ anhand einer gelebten Utopie des Mikrostaates
Sealand auf Möglichkeiten der Gemeinschaft aufmerksam zu machen, die sich
nicht nach bestehenden Modellen orientieren. „Optimisten schaffen keine
Utopien“ macht dabei aber deutlich, dass es sich hier um kein Aussteigertum
von Träumern handelt. Das aktive Streben nach einer Idealform, die im kritischen
Hinterfragen wie auch mühsamen Formen gefunden werden will und die gegen
alle widrigen Umstände verteidigt werden muss, kann erst als Utopie gesehen
werden.
Der Künstler als Vordenker und kritischer Betrachter seiner Gegenwart meldet
sich wieder auf den Plan, und mit ihm leider auch längst überholte Konstellationen
seitens der Öffentlichkeit und der Behörden. Glücklicherweise aber
nicht generell, ist doch die Arbeit von „schleuser.net„ in das Projekt
„1500 Jahre Sonderschutz für 50 Kunstwerke“ der Bundesregierung
mit Werken von Künstlern wie Stephan Huber, Jörg Immendorff und Olaf
Metzel aufgenommen worden. Unter dem höchst möglichen Schutz der Haager
Konvention – aus Anlass deren 50sten Jubiläums - wird sie in einem
Edelstahlbehälter versiegelt im Zentralen Bergungsort der Bundesrepublik,
dem Stollen von Oberried/Breisgau, neben Archivmaterial mit der Dringlichkeitsstufe
1 der Bundesrepublik Deutschland als Zeugnis unserer Kultur eingelagert. Die aktuelle
Arbeit „transit~wellen“ von „schleuser.net“, die nun in
das streng bewachte „Land“ des Äther vordringt und das Thema
der Migration auf die Mobilität generell ausweitet, findet nun hoffentlich
auch hierzulande eine angemessene Beachtung.
Reinhard Palmer